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„Nichts ist ungeheurer als der Mensch“

Antigone am GEG

Dass die Truppe auf diese Frage eine mehr als gelungene Antwort gefunden hat, sei bereits vorweggenommen. Die „Große Bühne“, die derzeit 14 Mitglieder umfasst, hat sich ein ganzes Jahr lang intensiv auf diesen Abend vorbereitet und fein herausgearbeitet, was uns die griechischen Tragödie heute noch zu sagen hat. Doch dazu später mehr.

 

Eingeleitet wurde der Premierenabend dann aber mit dem Auftritt einer Krähe (Ivana Juric), die den Zuschauern die durchaus komplizierte Vorgeschichte der tragischen Ereignisse um Antigone vermittelte: „Wie Griechen seht ihr nicht aus, wohl Barbaren? Ihr wisst gar nichts, oder? Vom alten Griechenland, von Ödipus?“ Mitreißend berichtet die Krähe in ihrem Prolog von den schrecklichen Ereignissen in der Labdakidenfamilie, die zur Verfluchung des gesamten thebanischen Herrschergeschlechtes führte. Auch der bekannte Ödipus fiel letztlich dem Familienschicksal zum Opfer und hinterließ seine Frau (und Mutter) Iokaste, sowie seine Kinder Eteokles, Polyneikes, Antigone und Ismene. Nachdem Eteokles den vereinbarten jährlichen Herrschaftswechsel mit seinem Bruder ablehnte, zog dieser mit fremden Heeren gegen die Heimatstadt und als sich die beiden Brüder vor den Toren der Stadt gegenseitig töteten, erwies sich die Langlebigkeit des Fluches auf drastische Weise. Nun herrsche Kreon, ein Onkel der Getöteten, über die Stadt. An diesem Punkt endet der Bericht der eloquenten Krähe und beginnt die eigentliche Handlung des Abends:

 

Gleich zu Beginn des Stückes sehen sich die beiden leidgeprüften Schwestern Antigone und Ismene mit einer Entscheidung Kreons konfrontiert, der zwar Eteokles, den Verteidiger der Stadt ein ehrenvolles Begräbnis gewähren, genau dieses aber Polyneikes verwehren will. Antigone kann diese Entscheidung nicht akzeptieren, fürchtet sie doch um das Seelenheil des getöteten Bruders, und fordert ihre Schwester auf, Polyneikes zu bestatten. Ismene zeigt sich geschockt und versucht ihre Schwester von diesem gefährlichen Vorhaben abzubringen: „Bedenke, dass wir Frauen sind – Man soll nicht jagen nach Unmöglichen.“ Schon in dieser intensiven Dialogszene, kongenial dargeboten von Mia Digel (Antigone) und Fenna Haas (Ismene), werden die gegensätzlichen Charaktere der beiden Schwestern greifbar. Während Ismene sich den gesellschaftlichen Regeln anpasst, stellt Antigone die rituellen Erfordernisse und die Familienbande kompromisslos über die Regeln des Staates: „Sterb ich dafür, so sterb ich gern!“

 

Das dargebotene Stück ist sprachlich anspruchsvoll und enthält zahlreiche erklärungsbedürftige Verweise. Dementsprechend wichtig ist die Rolle des nun erstmals auftretenden Chores, der die Szenen kommentiert und zu den jeweils folgenden überleitet. Wie anfangs erwähnt, ist besonders die Ausgestaltung dieser heute ungewöhnlichen Darbietungsform in den höchsten Tönen zu loben. In fantastischer Art und Weise begleitet das preisgekrönte Nachwuchstalent Jonas Strobel den Chor am Schlagzeug. Diese Sequenzen strahlen für den modernen Zuschauer zuerst eine gewisse Fremdheit aus, entwickeln dann aber eine fast schon hypnotische Sogwirkung: Chapeau!

 

Mit dem ersten Auftritt Kreons hat der tragische Konflikt seine zwei Gesichter: Hier die trotzige, zur Selbstaufgabe bereite Tochter, dort den konsequenten Vertreter staatlicher Interessen: „Der Staat ist unsere Planke auf der See.“ Kreon, den Janis Steger so facettenreich und mitreißend verkörpert, dass man ihm direkt einen Einstieg als Jungpolitiker empfehlen möchte, hält an seinem Begräbnisverbot fest und lässt es auf eine Eskalation ankommen.

Und so überrascht es nicht, dass kurze Zeit später ein um sein eigenes Leben fürchtender Wächter (Hanna Hüpphop) dem stolzen Herrscher berichtet, dass der Leichnam Polyneikes‘ mit Sand und Weihegaben quasi bestattet wurde. Zuerst vermutet Kreon aufsässige Bürger hinter der Tat, „die den Nacken nicht beugen wollen unter das Joch der Pflicht[...]“, doch schnell erweist sich Antigone als Urheberin des „Frevels“.

Das minimalistisch, düster gestaltete Bühnenbild, dem nur die schneeweißen Gewänder der Schauspieler etwas entgegensetzen, untermalt die dargebotene Tragik und lenkt den Fokus der Zuschauer voll und ganz auf den Text und das großartige Spiel der jungen Talente.

In den weiteren Dialogen zwischen der mittlerweile verhafteten Antigone und dem harten Herrscher Thebens lassen sich so auch Feinheiten erkennen, die bei anderen Inszenierungen oft untergehen. So verweist Kreon zwar immer wieder auf staatliche Gerechtigkeit, doch unter der Oberfläche wird zunehmend deutlich, dass auch die persönliche Kränkung seines männlichen Egos zu seiner unerbittlichen Haltung beiträgt. Und so lässt sich Kreon auch nicht von seinem Sohn Haimon erweichen, eine der wenigen Figuren, die die Vernunft in den Mittelpunkt ihres Denkens stellt und der mit Antigone verlobt ist, da er sich „von Jünglingen und Weibern“ nichts sagen lasse.

Erst als der Sohn mit dem eigenen Tod droht (den Schmerz des verzweifelt Liebenden vermittelt Lara Sobotta dabei in jeder Sekunde ihres Auftritts), wandelt Kreon die sofortige Hinrichtung um; Antigone soll lebendig eingemauert werden. Statt Kompromiss oder Einsicht, flüchtet er aus der Verantwortung.

Aber auch bei Antigone, die ihre Tat ohne Reue bekannte, hat der Zuschauer den Eindruck, dass sie die drohende Todesstrafe vor allem deshalb annimmt, um die Welt stolz erhobenen Hauptes verlassen zu können. Das Angebot Ismenes, die Todesstrafe mit ihr gemeinsam zu ertragen, verweigert sie barsch, denn den Märtyrertod will sie für sich allein.

 

Das Ende des Stückes soll an dieser Stelle nicht im Detail offenbart werden. Es sei nur so viel gesagt, der bewegende Auftritt des greisen Sehers Teiresias (eindrücklich verkörpert von Johanna Sauermann) führt letztendlich doch noch zu einem späten Sinneswandel Kreons, der loseilt, um Antigone zu befreien...doch enden Tragödien bekanntermaßen selten in einem Happy End.

 

Nun bliebe noch die anfangs aufgeworfene Frage nach dem aktuellen Bezug des Stückes zu beantworten. Politische Interpretationen liegen nahe und wurden bereits in unzähligen Adaptionen aufgegriffen. Eicks inszeniert das Stück aber sehr subtil und dadurch umso aussagekräftiger. Er weist den Figuren keine konkrete politische Position zu und verweist mit dieser Inszenierung eher allgemein auf die Metaebene des politischen Umgangs miteinander. Keiner der beiden Gesinnungsethiker, weder Kreon, noch Antigone, vertritt per se einen falschen Standpunkt. Das Problem liegt vielmehr in der fehlenden Fähigkeit, die Perspektive des Gegenübers auch nur wahrzunehmen, oder gar pragmatische Kompromisse zu finden. Es leuchtet wohl unmittelbar ein, dass diese Botschaft auf unzählige Debatten unserer Zeit angewandt werden könnten. Und so wollen wir hoffen, dass nicht auch unsere Gesellschaft vom Fluch der Labdakiden eingeholt wird.

 

Bevor der letzte Vorhang fällt, betritt dann noch einmal Juliana Kolesch die Bühne, die bereits zuvor mit Gitarre und grandiosen Gesangseinlagen von Szene zu Szene führte. Ihre Darbietung des Lieds „Soldat“ von „Ok.Danke.Tschüss“ geht dem Publikum durch Mark und Bein und rundet einen wundervollen und anregenden Theaterabend würdig ab.

 

 

 

 

 

 

BESETZUNG

 

Antigone                    Mia Digel

Chor                            Alexandra Weinland, Amy Hörz, Ivana Juric, Johanna Sauermann,

                                   Klara Wilke, Lara Sobotta, Mylena Meyer.

Chorführerinnen         Johanna Durdel, Juliana Kolesch.

Diener                         Mara Beck

Eurydike                      Klara Wilke

Haimon                       Lara Sobotta

Ismene                        Fenna Haas

Kreon                          Janis Steger

Krähe                          Ivana Juric

Teiresias                      Johanna Sauermann

Wächter                      Hanna Hüppop

Musik                         Jonas Strobel, Juliana Kolesch

Regie                          Mathias Eicks

Technik                       Alessio Schneider, Amaury-Etienne Kroh, Frieder Kraiser, Jan Westerkamp

Kostüme                     Magret Schade

Bühnenaufbau           Peter Waimer, AK Technik